Die andere Biographie

Ich habe ein Buch geschrieben! Es erscheint am 2. Februar 2021. Und handelt von einem Mann, den mein Sohn für den König von Deutschland hält: Markus Söder.

Ich versuche, einen angriffslustigeren Ton zu treffen als in Biographien üblich und mit einem weiblicheren Blick als in Büchern über CSU-Politiker üblich zu arbeiten. Deshalb auch der Titel: “Die andere Biographie”. Wer die rund 200 Seiten liest, wird unter anderem erfahren, wo Markus Söders Platz in Bayern genau ist, welcher genialen Erfindung er den Einzug in die Staatskanzlei verdankt und ob er 2007 Horst Seehofers uneheliches Kind an die BILD-Zeitung verraten hat. Außerdem habe ich mit Markus Söder ein Exklusivinterview über seine Lieblingsserie “Game of Thrones” geführt und weiß jetzt, mit welchem Herrschergeschlecht er sich und seine Bayern vergleicht. Spoiler: Es sind nicht die Lannisters.

Hier ein Link zur Verlagsvorschau von Hoffmann & Campe.

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Darin heißt es: “Die einen finden ihn unmöglich, die anderen genial: Söder polarisiert wie kein anderer Politiker seiner Generation. Die Spiegel­Journalistin und Feministin Anna Clauß, die Markus Söder seit Jahren eng begleitet, gibt jetzt überraschende Antworten. In ihrem Buch ist Söder live, ungefiltert und ganz nah zu erleben. In ungewöhnlichen Situationen und an besonderen Orten, im Schnelldurchlauf für alle, die wenig Zeit haben, aber endlich wissen wollen: Was für ein Mensch verbirgt sich hinter der Maske mit den weiß­blauen Rauten?”

Wer nicht bis Februar warten will: Rezensionsexemplare kann man bei der Leiterin der Presseabteilung Lisa Bluhm von Hoffmann & Campe bestellen: lisa.bluhm(at)hoca.de

Herrschaftszeiten!

Die Coronakrise hat vieles verändert. Nun auch das: Markus Söder ist am Ende der Ära Merkel ihr aussichtsreichster Erbe. Wie konnte es soweit kommen? Dieser Frage widmet sich die aktuelle Titelgeschichte im Spiegel, an der ich die letzten Wochen gearbeitet habe. In der Hausmitteilung, einem kleinen Making-Of zur Geschichte, heißt es:

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Lange galt Markus Söder als Gernegroß aus der Provinz, heute lacht niemand mehr über ihn. Im Rennen um Merkels Nachfolge führt der CSU-Chef mit großem Abstand. Als Kanzlerkandidat scheint er derzeit alternativlos zu sein. Markus Söder kann Krise. Aber kann er auch Kanzler?

Außer in der Titelgeschichte habe ich diese Frage im Spiegel-Podcast “Sagen, was ist” beantwortet. Am Sonntag war ich im Wadlbeißer-Modus zu Gast in der BILD-TV Sendung “Die richtigen Fragen”. Markus Söder mache Politik “wie ein Möpelpacker”, sagte ich dort. Außerdem warf ich ihm “Größenwahn, Angeberei, Showtalent” vor, beispielhaft bezogen auf die Rauten seiner Maske, die größer sind als die auf denen seiner CSU-Parteikollegen. “Clauß krachlederte los” hieß es tags drauf in der Bild. Manche meinten, ich habe übertrieben.

Zwei Tage später postete Markus Söder folgendes Bild auf Instagram.

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Deutschlands heilige Kühe: Datenschutz und Brandschutz

Seit heute gibt es die Corona-Warn-App der Bundesregierung zum Download. Anfang der Woche habe ich dazu die Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt, Dorothee Bär (CSU), interviewt, die hofft, „dass die typisch deutsche Mentalität, die immer zu Überperfektionismus und höchster Vorsicht neigt, nicht dazu führt, dass die theoretischen Bedenken den praktischen Nutzen der App überlagern.“

Schaue ich mich im Freundeskreis oder in den Sozialen Netzwerken um, weiß ich, was sie meint. Häufig in den letzten Tagen begegnete mir in den Kommentaren zur Corna-Warn-App Misstrauen, Ablehnung, Geraune. Einen Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte vermutet einer, die App schränke Grundrechte ein, weil der Staat seine Bürger auf Schritt und Tritt verfolgen könne. Von "Freiwilligkeits Schwindel" fantasiert sogar Heribert Prantl. In Umfragen hält sich die Zahl der App-Befürworter und der App-Zweifler ziemlich die Waage.

Skepsis ist eine journalistische Grundtugend, die ich immer gut finde. Aber in dem Fall muss ich Dorothee Bär Recht geben: Man kann es mit dem Bedenkenträgertum auch übertreiben. Datenschutz und Brandschutz - das scheinen zwei heiligen Kühe in Deutschland zu sein. Vielleicht retten sie Leben. Mich aber treiben sie häufig in die Verzweiflung. Jeder, der per App Pizza bestellt oder mit Freunden und Familie WhatsApp benutzt, gibt mehr persönliche Daten preis als alle, die künftig die "Corona-Warn-App" benutzen.

Weder muss man dort seinen Namen eingeben, noch persönliche Daten. Die App trackt auch nicht unseren GPS-Standort. Sie misst per Bluetooth, wie häufig am Tag wir anderen App-Nutzern nahe kommen und speichert den Zeitpunkt und die Dauer des Kontakts 14 Tage dezentral und anonymisiert auf dem Smartphone. Es wird auch kein Mensch zur Nutzung der App gezwungen.

Mir wäre es ehrlich gesagt lieb, ich könnte mit der App (per pseudonymisiertem ID-Code) im Restaurant oder in der Eisdiele einchecken statt jedes Mal meinen Namen, meine Adresse und meine Telefonnummern handschriftlich dort zu hinterlassen. Ich glaube, der Augustiner Biergarten hat langsam die Telefonnummern von allen Münchner Bürgern in seinem Keller vorrätig. Ich kann nachts trotzdem gut schlafen.

Ja, Corona ist doof, kostet uns Geld und Arbeitsplätze und vielen die Existenz. Aber die App könnte uns allen das Leben erleichtern, vielleicht sogar Leben retten, indem sie hilft, Infektionsketten frühzeitig zu unterbrechen. Ich finde, das Experiment ist es wert!

Apple: https://apps.apple.com/de/app/corona-warn-app/id1512595757

Android: https://play.google.com/store/apps/details?id=de.rki.coronawarnapp

Brauchen wir eine neue Herdprämie?

Lange habe ich gedacht, der Wunsch Kind und Karriere zu vereinbaren sei so selbstverständlich wie die Kombination einer Maß Bier mit einer Riesenbrezel. Dann kam die Coronakrise. Seitdem sind nicht nur die Biergärten geschlossen. Auch für berufstätige Frauen mit Kindern hat sich einiges geändert. Sie sind plötzlich vor allem eines, nämlich Mütter in Vollzeit. Weil Kitas und Schulen noch lange Zeit geschlossen bleiben, übernehmen vor allem sie die Rolle der Lehrerin, der Köchin, der Putzfrau - den Broterwerb überlassen sie entweder dem Mann oder sie erledigen ihn irgendwie nebenbei oder nachts. Die Politik verlässt sich auf diese Aufopferungsbereitschaft - statt sie zum Beispiel mit einem Corona-Elterngeld, einer neuen Herdprämie, zu entlohnen.

Da ich selbst das Glück habe, einen Mann an meiner Seite zu haben, mit dem ich mir die Familienarbeit partnerschaftlich teile, konnte ich in den letzten Wochen viele Kolumnen, Essays und SPIEGEL-Leitartikel schreiben, in denen ich die Überlastung vieler Familien angeprangert habe. Hier eine Auswahl:

Feminismus rettet Leben - Männer haben die leitenden Jobs, aber die Frauen sind es, die die Gesellschaft in der Coronakrise am Laufen halten.

Mein Sohn, der Lockdown-Gewinner - Menschen sterben, verlieren ihre Jobs, leiden unter Einsamkeit. Nicht so mein Fünfjähriger. Er ist glücklich und zufrieden wie nie, da seine Mutter mehr Zeit als sonst für ihn hat: Kann es sein, dass die Hausfrauenehe anderen Familienorganisationsformen doch überlegen ist?

Die neue Herdprämie - Die Politik verlässt sich auf eine scheinbar unbegrenzte und kostenlose Ressource: die Aufopferungsbereitschaft von Eltern, vor allem von Müttern. Das ist falsch.

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Spiegel Gespräch live

Ilse Aigner ist seit etwas mehr als einem Jahr Präsidentin des Bayerischen Landtags. Im Rahmen eines SPIEGEL Gesprächs live hatte ich die Möglichkeit, mit ihr über Macht zu sprechen. Lange Jahre galt Ilse Aigner als natürliche Nachfolgerin von Horst Seehofer. Vor gar nicht so langer Zeit (wobei vier Jahre im politischen Geschäft wie Jahrzehnte weit weg wirken können) hätte kaum einer auf Markus Söder als neuen Stern am Himmel über dem Freistaat getippt. Ich gestehe, dass auch ich es zu dieser Zeit für möglich gehalten habe, Söder werde vor Ehrgeiz alsbald explodieren und verglühen - während Aigner die erste Frau an der Spitze des Freistaats wird.

Ganz falsch lag ich nicht. Heute ist Ilse Aigner die mächtigste Frau im Bayerischen Politikbetrieb. Nur an Markus Söders Ehrgeiz kam sie nicht vorbei. Sie selbst sieht das nicht als Niederlage. Wer Ilse Aigner live erlebt, merkt wie motiviert, entspannt und schlagfertig sie auftritt. “Macht ist gut. Aber nicht um jeden Preis,” sagte Aigner. Vor dem Gespräch hätte ich ihr das als Schwäche ausgelegt. Jetzt nicht mehr.

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Damenwahl

Es gibt sie noch, die guten Nachrichten: Die Kommunalwahlen in Bayern finden statt. Trotz Corona-Pandemie. Aus einem Grund freue ich mich besonders auf den kommenden Sonntag: Es treten so viele Frauen wie noch nie bei Bayerischen Kommunalwahlen an - im SPIEGEL habe ich darüber geschrieben.

Bestes Beispiel ist München. SPD-Platzhirsch Dieter Reiter wird gleich von zwei Frauen herausgefordert: Kristina Frank von der CSU und Katrin Habenschaden von den Grünen. Im Salon Luitpold habe ich eine Podiumsdiskussion mit den beiden moderiert. Auch das Publikum durfte Fragen stellen. Was die Münchner wirklich bewegt, dokumentiert die Stelle bei 1h:20min im Video. Ein Mann will von den zwei OB-Kandidatinnen wissen: “Können Sie ein Oktoberfest Bierfass anzapfen und wenn ja, mit wie vielen Schlägen.” Ich fand die Antwort der beiden schlagfertig.

Freiheit den Rabenmüttern

Hurra, ich habe eine Kolumne! Einmal im Monat beschreibe ich auf spiegel.de wie man seine Kinder trotz Abwesenheit und ständigem Zeitdruck zu glücklichen Menschen erzieht. Oder es sich zumindest erfolgreich einreden kann. In der ersten Folge ging es um Helge Schneider, Tränen am Gepäckbandund das doofe Gefühl, nicht vermisst zu werden, wenn man Mann und Kind alleine lässt.

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Diese Woche geht es etwas politischer zu: Seit gestern hat Bayern eine neue CSU-Familienministerin, Carolina Trautner, die auf Markus Söder Geheiß hin weiter Geldgeschenke an Eltern verteilen wird. Vor ihrer Vereidigung im Landtag wiederholte der Ministerpräsident sein ewiges Mantra: Kein Bundesland tue so viel für Familien wie Bayern. Klar, es gibt neben dem bundesweiten Kindergeld noch ein “Bayerisches Familiengeld” (250-300 Euro monatlich) ein “Bayerisches Baukindergeld” (1500 Euro pro Jahr und Kind) und ein “Bayerisches Krippengeld” (100 Euro pro Monat).

Aber wieviel davon kommt bei meinem Sohn im Kindergarten an? Meine Haltung ist und bleibt: Investiert diese Millionen und Milliarden in Betreuungsqualität statt in Wählerbestechung und Gratiskitas. Ich weiß, man muss sich diese Aussage leisten können, aber: Ich will einen guten Kindergartenplatz, keinen kostenlosen.

Ich hätte übrigens kein Problem damit gehabt, mich als "Rabenmutter-Kolumnistin" zu bezeichnen. Ich empfinde das Wort nicht als beleidigend, sondern verbinde es mit der Freiheit, keine perfekte Mutter sein zu müssen. Trotzdem fand meine Ressortleitung den Kolumnentitel "Menschenskinder" besser. Es schreibt schließlich jede Woche eine andere Autorin oder Autor unter dieser Rubrik. Und nicht alle legen in ihren Texten, so wie ich, den Fokus auf das tägliche Vereinbarungschaos zwischen Kind und Karriere. Besonders gut hat mir die Folge des Kollegen Markus Deggerich gefallen, der Teilzeit arbeitet und sehr glücklich damit wirkt.

Wie ich einmal eine Lobesrede auf Politiker hielt

Auf Einladung der Hanns Seidel Stiftung habe ich in der Deutschen Botschaft in Den Haag über die „Regionalwahlen und die politische Großwetterlage in Deutschland“ gesprochen. Neben dem Deutschen Botschafter in den Niederlanden Dirk Brengelmann nahm der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer an der dreistündigen Debatte teil. Außerdem redeten René Cuperus, Mitglied der niederländischen SPD "Partij van de Arbeid" und der Parlamentarier Pieter Omtzig von der konservativen "Christen-Democratisch Appèl" über die Erfahrungen mit der niederländischen Vier-Parteien-Koalition: Durch die sehr komplexe Regierungsarbeit in den Niederlanden gerate die politische Mitte in Gefahr. Parteien beschäftigten sich mehr mit sich selbst als mit den politischen Themen, was Populisten in die Karten spiele.

Auf dem Weg zurück zum Flughafen geriet ich in eine ähnlich lebhafte Diskussion mit dem Fahrer meines Taxis. Seinem Eindruck nach seien Politiker korrupt und faul. Er fragte mich, wie weit ich gehen würde, um an geheime Informationen zu gelangen und ob ich nicht manchmal um mein Leben fürchte. Ganz offensichtlich hatte er sein Wissen über die Verhältnisse zwischen Politikern und Journalistinnen aus der Netflix Serie "House of Cards". Unter anderem beginnt darin die Redakteurin eines Nachrichtenmagazins eine Affäre mit dem späteren amerikanischen Präsidenten. Das Ganze endet tödlich, nämlich mit dem Sturz der Journalistin vor eine einfahrende U-Bahn.

Vielleicht liegt es daran, dass Deutschland nicht Amerika ist. Aber mein Redakteursalltag verläuft deutlich unspektakulärer - obwohl auch ich viel UBahn fahre. Ich hielt dem Taxifahrer eine improvisierte Verteidigungsrede des deutschen Parlamentariers. Ich muss sagen, ich habe nur sehr selten einen Politiker oder eine Politikerin kennengelernt, der oder die dem Klische der korrupten Egomaschine entspricht. Auf der faulen Haut habe ich auch noch keinen oder keine liegen sehen. Das Arbeitspensum eines Kommunalpolitikers ist schon enorm. Das Tagesprogramm des politischen Spitzenpersonals ist häufig so überfrachtet und zeitfordernd, dass ich mich immer frage, ob die Eltern unter den Politikern die Namen ihrer Kinder auf einem Zettel im Geldbeutel notieren, um sie nicht zu vergessen?

Kurz vor der Einfahrt zum Terminal kritisierte der Taxifahrer, es gehe jedem Politiker früher oder später nicht mehr um die Sache, sondern nur noch um den eigenen Machterhalt. Das wiederrum ist in der Praxis schwerer zu widerlegen.

Foto: Angela Ostlender, Hanns Seidel Stiftung

Foto: Angela Ostlender, Hanns Seidel Stiftung

Rennende Dackel

Die Röcke sind kürzer, die Lederhosen weiter. Ansonsten tragen die Menschen auf dem Oktoberfest in Denver genauso gerne Tracht wie die Besucher des Münchner Originals. Am Wochenende habe ich im importierten Dirndl die Wiesn von Colorado besucht und darüber für die Denver Post geschrieben: How authentic is Denver’s Oktoberfest? We sent a German reporter to find out.

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Dass die Bewohner Denvers Bier lieben, war mir klar. In Colorado gibt es 400 verschiedene Brauereien. Allerdings wurde auf dem Denver Oktoberfest deutsches Bier ausgeschenkt: Spaten und Franziskaner in Maßkrügen, die hier "Steins" heißen und die außerdem auch in kleinen Größen verkauft werden. Der Liter kostet 10 Dollar ist also vergleichbar teuer wie das Bier auf dem Original Oktoberfest. In Denver ist das ein günstiger Preis. Auf dem Eishockey-Spiel, das ich gestern besucht habe, wurden sensationelle 12 Dollar pro Bierdose aufgerufen. Plus 22 Dollar für die Wodka-Limonade, die ich mir genehmigte - ohne vorher auf den Preis geachtet zu haben. Immerhin schwamm eine echte Zitrone darin.

Zu meinem großen Bedauern habe ich das Dackelrennen auf dem Oktoberfest von Denver verpasst. Es fand am Sonntag Morgen statt zu einer Zeit als ich noch den Hangover auskurieren musste. Es wäre so schön, wenn es die typischen deutschen Traditionen, die hier ein Wochenende lang aufgeführt werden, auf dem echten Oktoberfest geben würde. Bierfass-Bowling zum Beispiel. Oder Dackelrennen.

Außerdem habe ich einen fantastischen neuen Trinkspruch gelernt: "Eins, zwei, drei, vier. We want more beer." Und, wie so häufig in den letzten Wochen, amazingly nette Menschen kennengelernt. Patrick zum Beispiel, der einen sehr schicken karierten Hut trug, den er für typisch deutsch hielt. Mich erinnerte er an Sherlock Holmes. Patrick machte mir ein Kompliment, auf das man in Deutschland vermutlich lange waren muss: "Bayerisch sei der sexieste Dialekt der Welt." Jedenfalls, wenn er aus gesprochenem Englisch mit deutschem Akzent herausklingt.

“Wunderbar together” stand auf den Lebkuchenkerzen, die das Goethe Institut verteilt hat. Recht haben sie. Es macht mich ein bisschen stolz, dass bayerische Lebensfreude offenbar ein so erfolgreiches Exportgut ist.

Sprechen wir über Revolution

Welcher der 20 Kandidaten im Feld Demokraten tritt bei der Präsidentschaftswahl 2020 gegen Donald Trump an? Die Menschen in Colorado würden Bernie Sanders in den Ring schicken. In den lokalen Rankings führt er knapp vor Joe Biden. Diese Woche trat Sanders im Stadtpark von Denver auf. Drei Dinge haben mich dabei überrascht:

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Seine größten Fans sind im Erstwähler-Alter

Für einen Mann im stolzen Alter von 78 Jahren hat Bernie Sanders auffallend viele junge Unterstützer. Mit seiner albackenen Brille, der Halbglaze und seiner brüchigen Stimme scheint er einen subversiven Charme auszustrahlen, den besonders die Hipster unter den College Studenten cool finden. In Denver trugen sie silberne Leggins und pinkfarbene Wollmützen, auf denen "Feel the Bern!" stand. Oder Sonnenbrillen in Herzform. Eine vielleicht 20-Jährige im Spalier der Menschen, die Sanders nach seinem Auftritt die Hand entgegen streckten, rief alle ihre Freunde an, als Sanders im Auto Richtung Flughafen verschwunden war, und wiederholte halb hyperventilierend, dass ihr der "echte Bernie Sanders zugewunken" habe. Eine Ekstase, die selbst ein Robert Habeck nach seinem Wahlkampfauftritt auf dem Münchner Marienplatz letztes Jahr nicht hat auslösen können. 

Sicherlich machen Bernie Sanders seine Forderungen wie die nach gebührenfreien Universitäten oder Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen beliebt bei jüngeren Wählern. Ich hätte zu gerne gewusst, was die Trägerin eines Trainingsanzugs, der mit hunderten Sanders-Köpfen bedruckt war, zu ihrem Outfit inspiriert hat. Ich sah sie leider nur von Weitem auf dem Heimweg.

Der Soundtrack seiner Kampagne funktioniert gut

Keine Ahnung, welche Musik Bernie Sanders persönlich hört. Dem Rolling Stone Magazin sagte er in einem Interview, sein iPad sei randvoll gefüllt mit Beethoven Symphonien. Nach dem Tod David Bowies im Jahr 2016 konnte Sanders keinen Lieblingssong nennen, weil er offensichtlich keinen Bowie Hit kannte. Trotzdem hat es sein Wahlkampf-Team geschafft, Bowies “Starman” so in den Soundtrack vor Sanders Auftritt zu basteln, dass eine authentische Aufbruchstimmung entstand noch bevor der Mann die erste politische Botschaft verkündet hatte.

Tracy Chapmans “Talking about a revolution” hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört, mir nach Sanders Auftritt aber sofort wieder in meine Playliste geladen. Vielleicht finde ich noch heraus, wie die Songwriterin hieß, die vor Sanders Auftritt mit irre niedlicher Country-Stimme und Akustikgitarre “We won´t have to wait” sang. Sie war jedenfalls sehr gut. Die Atmosphäre vor Sanders Auftritt erinnerte mehr an Woodstock als an Wahlkampf und löste im Publikum einen melancholischen “wind of change” Optimismus aus, den kein Scorpions-Song der Welt hätte herbeipfeifen können.


Dieser Mann soll Sozialist sein?

Bernie Sanders bezeichnet sich selbst als “demokratischen Sozialisten”. Im Bewerberfeld der Demokraten gelten Sanders Ideen als zu links um im Amerika des 21. Jahrhunderts mehrheitsfähig zu sein. Dabei fordert er Dinge, die in Deutschland Selbstverständlichkeit sind: Krankenversicherung für alle, Studiengebühren für niemand, Kohleausstieg bis 2050. Die meiste Zeit seiner Rede verwendete Sanders auf den “Green new Deal”, mit dem er den Weltuntergang aufhalten will. Die Stelle, an der er sagte “Wir haben einen Präsidenten, der den Klimawandel für einen Scherz hält. Ich halte den Präsidenten für einen Scherz.” sprach das Publikum auswendig mit.

Bernie Sanders erinnerte mich sehr an den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Ganz sicher aber nicht an Karl Marx, Kevin BMW-verstaatlichen-Kühnert oder irgendjemand, der durch meine deutsche Brille sozialistisch wirken könnte.

Field Guard Roger

Amerikaner sind die nettesten Menschen der Welt. Zum Beispiel Roger, Platzwart im Baseball Stadion der Colorado Rockies. Als er hörte, dass ich gerade das erste Spiel meines Lebens besuche, schenkte er mir seinen Baseball. Unterschrieben mit „Field Guard Roger“. Einen echten, superharten, superbegehrten Rawlings Baseball mit roter Naht verschenkt er pro Spiel. Einen einzigen! Außerdem wollte Roger wissen, woher ich komme. Munich, sagte ich. „Great,“ sagte er.

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Die gleiche Unterhaltung hatte sich bereits beim Einlass ins Stadion abgespielt, als ich den Kartenkontrolleur nach dem Weg zu meinem Platz gefragt hatte. Außerdem tags zuvor in der Schlange des Fast Food Restaurants meiner Wahl. Sohn und ich diskutierten gerade die Menüfolge (Hamburger oder Cheeseburger oder Pommes) auf Deutsch, als der ältere Herr hinter uns nicht etwa nervös wurde ob der sich verlängernden Wartezeit, sondern interessiert fragte: „Where are you from?“ Als er mit seiner Bestellung später unseren Tisch passierte, hielt er kurz an: „I hope you are having fun. Welcome in America!“

Auch ich bin freundlich zu Fremden, wenn sie mich am Münchner Marienplatz nach dem Weg ins Hofbräuhaus fragen. Gedanklich aber rolle ich mit den Augen. Meistens bin genervt von den betrunkenen Touristen, die in Schlangenlinien durch den Englischen Garten kurven. Nie würde ich auf die Idee kommen, mir unbekannten Radl-Beginnern zuzuwinken, ihnen „have fun in Munich“ entgegen zu flöten oder sie darauf hinzuweisen, dass sie zur Eisbachwelle die andere Richtung einschlagen müssen. Ich fühle mich schlicht nicht verantwortlich für das Wohl der Zugereisten in meiner Umgebung. Was mir jedes Mal beschämt auffällt, wenn wieder ein Mensch aus Amerika nett zu mir ist. Obwohl er es nicht müsste.

Gleich am ersten Arbeitstag lud mich zum Beispiel meine Chefin bei der Denver Post zum Wochenendausflug in die Rockies ein. Gemeinsam mit ihrer Familie wäre sie mit mir wandern gegangen. Unvorstellbar, dass ein deutscher Chef auf die Idee kommt, einem Mitarbeiter auf Zeit bei der nächstbesten Gelegenheit die eigene Familie vorzustellen. Leider musste ich absagen, weil mich meine Vermieterin tags zuvor am Samstag zum Barbecue eingeladen hatte.

Sobald sich Kollegen nach Redaktionsschluss zum Ausgehen verabreden, fragen sie mich, ob ich mitkommen will. Die Karten in der ersten Reihe des Baseball Stadions von Denver verdanke ich meinen Kolleginnen Beth und Danika.

Ich habe mir fest vorgenommen, diese Offenheit Neuen und Neuem gegenüber, nach Bayern zu importieren.

Blickkontakt mit Trump

Falls sich jemand fragt, wie Donald Trump aussieht, wenn er gerade nicht twittert? Ungefähr so wie auf dem Ölgemälde, das kürzlich im Kapitol von Colorado enthüllt wurde. Die Künstlerin Sarah Boardman sagte bei der feierlichen Enthüllung ihres Trump-Portraits, sie wollte den Amerikanischen Präsidenten mit einem neutralen Gesichtsausdruck einfangen: “Not confrontating, not angry, not twittering.”

Es hat fast die gesamte erste Amtszeit Donald Trumps gedauert, bis sein Bildnis diesen Monat endlich Einzug in die Ahnengalerie der US-Präsidenten im Kapitol von Colorado halten durfte. Colorado ist ein demokratischer Staat, Denver eine sehr liberale Stadt. Deswegen hatte sich lange Zeit einfach keiner darum gekümmert, die 10.000 Dollar Spendengelder einzutreiben, mit denen das Ölgemälde des aktuellen Präsidenten in der Regel angefertigt wird. Erst als vergangenes Jahr Aktivisten ein Bild von Vladimir Putin an der freie Stelle in der Ahnengalerie im Kapitol aufstellten, kam Bewegung in die Angelegenheit.

Der Republikaner Kevin Grantham trieb in der folgenden Woche in Rekordgeschwindigkeit die nötigen Spendengelder für das Trump Portrait ein. Vergangene Woche wurde es aufgehängt. Grantham sagte auf der Einweihungsfeier: “Egal, ob Ihnen das Bild ein Lächeln ins Gesicht zaubert oder ihren Blick verfinstern lässt. Vergessen Sie nie, dass beide Reaktionen legal sind. Denn Sie leben in den Vereinigten Staaten von Amerika.”

El Paso strong

Derzeit sterben in Amerika täglich Menschen durch Waffengewalt. Das Land hat kaum noch Zeit zu trauern. Zwei Tage, zwei Städte, zwei Shootings, mindestens 29 Tote und fast doppelt so viele Verletzte. Man kann die Schicksale hinter den Zahlen kaum ermessen. Menschenleben werden zu Nummern. Wieder sind Unschuldige gestorben, erschossen, aus dem Leben gerissen von der Waffe, der Wut und dem blinden Hass eines weißen jungen Manns.

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Ich bin am Sonntag nach El Paso aufgebrochen, um vor Ort für Spiegel Online zu berichten. Am ersten Tag bin ich zu einem Blutspendezentrum gefahren und habe Bürger der Stadt interviewt, die zum Teil acht Stunden Schlange standen, um Gutes zu tun. Am Tag des Besuchs von Donald Trump in El Paso war ich mit Raul unterwegs. Wie viele andere auch wollte er an diesem Tag gegen den Amerikanischen Präsidenten demonstrieren. Trump hatte auf einer Pressekonferenz am Morgen noch behauptet: “Meine Rhetorik bringt Menschen zusammen.” In El Paso stimmt das sogar. Geschlossen gingen sie gegen ihn auf die Straße.

Ich selbst bin Donald Trump nicht begegnet. Sein Besuch bei Opferfamilien und Überlebenden des Walmart-Attentats im Krankenhaus von El Paso fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dabei ist El Paso eine extrem offene und herzliche Stadt. Mich hat die Freundlichkeit der Menschen vor Ort sehr beeindruckt. Schließlich hätten sie im Moment großer Trauer allen Grund gehabt, das Gespräch mit einer Reporterin aus Deutschland abzulehnen. Das Gegenteil war der Fall.

Raul, der einen Kollegen, mit dem er früher für einen christlichen Musikverlag gearbeitet hatte, bei dem Attentat verloren hat, fuhr extra mit mir an die amerikanisch-mexikanische Grenze. Er zeigte mir die Trump-Mauer, die derzeit gebaut wird. Er selbst kam vor 28 Jahren illegal von Ciudad Juarez, das auf der gegenüberliegenden Seite von El Paso liegt, in die USA. Er besorgte sich eine gefälschte Green Card, suchte sich Arbeit und ist heute eingebürgerter US-Amerikaner mit eigenem Dachdecker-Unternehmen in El Paso. Seine Töchter studieren an amerikanischen Hochschulen Mathematik und Medizin. Für ihn hat sich der amerikanische Traum erfüllt.

Medienwandel

Wo fange ich am besten an? Vielleicht bei der verschlossenen Türe. Bei der Denver Post gibt es im “Visitor Center” keinen Mann und keine Dame am Empfang. Nur eine handygroße schwarze Fläche, auf die man seine Magnetkarte legen muss, damit sich die schwere Glastüre automatisch öffnet und den Weg in Richtung Redaktion frei gibt. Eine Magnetkarte, die ich am ersten Arbeitstag natürlich noch nicht besaß. Ich musste Cindi anrufen, die Mario anrief, der mich herzlich Willkommen hieß.

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Vor einem Jahr wurde rund die Hälfte der Belegschaft der Denver Post entlassen. Der verbliebene Rest zog von einem schicken Hochhaus in der Innenstadt von Denver in die Räume der Druckerei am nördlichen Stadtrand. Es gibt keine Fenster in den Redaktionsräumen. Durch ein einziges kann man vom Pausenraum in die riesige Druckereihalle blicken, um den Maschinen beim Arbeiten zuzuschauen.

Im Münchner Büro des SPIEGELS habe ich ein Einzelbüro. Was für ein Luxus.

Burns Fellowship

Es geht los! Mit einer Orientierungswoche in Washington D.C. Ich bin eine von zwanzig Journalisten und Journalistinnen, die im Rahmen des “Arthur F. Burns” Fellowship die Arbeit im Nachbarland kennenlernen dürfen. Ich bin genauso überdreht vor Aufregung wie es das Bild suggeriert. Aufgenommen wurde es auf der Terrasse der Kanadischen Botschaft.

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Ich werde die nächsten Wochen immer mal wieder von meinem Leben und Schreiben in den USA berichten. Pünktlich zum Oktoberfest in München werde ich wieder zurück sein.

Wunsch und Wirklichkeit

Jedes siebte Paar in Deutschland ist ungewollt kinderlos. Aber kaum jemand sprich offen über seine Situation. Entsprechen schwierig war es, Frauen und Männer zu finden, die mit mir - einer Journalistin, die sie nicht kennen - über die Strapazen der Kinderwunschbehandlung zu sprechen. Ich habe vier Monate Suchzettel in Reproduktions-Praxen ausgehängt und immer wieder in Online-Foren gepostet. Bis ich zum Schluss vier Paare gefunden hatte, die mir ihr Herz öffneten. Im Text wollten sie verständlicherweise anonym vorkommen. Bis auf Franziska Ferber, die einen sehr lesenswerten Blog zum Thema Kinderwunsch betreibt. 

Wie sehr der Wunsch nach einem Kind den Alltag der betroffenen Paare bestimmt, wurde mir klar, als mitten in einem Interview abends in einer Kneipe der Handywecker einer Gesprächspartnerin klingelte: Sie müsse jetzt ihren Eisprung auslösen, entschuldigte sich die Frau und verschwand mit einer Spritze doppelt so groß wie mein Kugelschreiber auf der Toilette.

Dr. Wolfgang Würfel, Fotograf: Julian Baumann

Dr. Wolfgang Würfel, Fotograf: Julian Baumann

Ich habe für meine Geschichte auch mit Reproduktionsmedizinern wie Wolfgang Würfel gesprochen, der eines von sieben Kinderwunschzentren in München betreibt. Trotz aller Erfolge, gibt Würfel zu, sei seine Profession eine „Medizin voller Rückschläge und Enttäuschungen“. Auch mein Blick hat sich durch die Recherche verändert. Wenn man mit diesem Wissen durch die Stadt geht, wird einem bewusst, dass in jedem Kinderwagen eigentlich ein Wunder liegt.

Hier gehts zur Geschichte.