Sprechen wir über Revolution

Welcher der 20 Kandidaten im Feld Demokraten tritt bei der Präsidentschaftswahl 2020 gegen Donald Trump an? Die Menschen in Colorado würden Bernie Sanders in den Ring schicken. In den lokalen Rankings führt er knapp vor Joe Biden. Diese Woche trat Sanders im Stadtpark von Denver auf. Drei Dinge haben mich dabei überrascht:

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Seine größten Fans sind im Erstwähler-Alter

Für einen Mann im stolzen Alter von 78 Jahren hat Bernie Sanders auffallend viele junge Unterstützer. Mit seiner albackenen Brille, der Halbglaze und seiner brüchigen Stimme scheint er einen subversiven Charme auszustrahlen, den besonders die Hipster unter den College Studenten cool finden. In Denver trugen sie silberne Leggins und pinkfarbene Wollmützen, auf denen "Feel the Bern!" stand. Oder Sonnenbrillen in Herzform. Eine vielleicht 20-Jährige im Spalier der Menschen, die Sanders nach seinem Auftritt die Hand entgegen streckten, rief alle ihre Freunde an, als Sanders im Auto Richtung Flughafen verschwunden war, und wiederholte halb hyperventilierend, dass ihr der "echte Bernie Sanders zugewunken" habe. Eine Ekstase, die selbst ein Robert Habeck nach seinem Wahlkampfauftritt auf dem Münchner Marienplatz letztes Jahr nicht hat auslösen können. 

Sicherlich machen Bernie Sanders seine Forderungen wie die nach gebührenfreien Universitäten oder Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen beliebt bei jüngeren Wählern. Ich hätte zu gerne gewusst, was die Trägerin eines Trainingsanzugs, der mit hunderten Sanders-Köpfen bedruckt war, zu ihrem Outfit inspiriert hat. Ich sah sie leider nur von Weitem auf dem Heimweg.

Der Soundtrack seiner Kampagne funktioniert gut

Keine Ahnung, welche Musik Bernie Sanders persönlich hört. Dem Rolling Stone Magazin sagte er in einem Interview, sein iPad sei randvoll gefüllt mit Beethoven Symphonien. Nach dem Tod David Bowies im Jahr 2016 konnte Sanders keinen Lieblingssong nennen, weil er offensichtlich keinen Bowie Hit kannte. Trotzdem hat es sein Wahlkampf-Team geschafft, Bowies “Starman” so in den Soundtrack vor Sanders Auftritt zu basteln, dass eine authentische Aufbruchstimmung entstand noch bevor der Mann die erste politische Botschaft verkündet hatte.

Tracy Chapmans “Talking about a revolution” hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört, mir nach Sanders Auftritt aber sofort wieder in meine Playliste geladen. Vielleicht finde ich noch heraus, wie die Songwriterin hieß, die vor Sanders Auftritt mit irre niedlicher Country-Stimme und Akustikgitarre “We won´t have to wait” sang. Sie war jedenfalls sehr gut. Die Atmosphäre vor Sanders Auftritt erinnerte mehr an Woodstock als an Wahlkampf und löste im Publikum einen melancholischen “wind of change” Optimismus aus, den kein Scorpions-Song der Welt hätte herbeipfeifen können.


Dieser Mann soll Sozialist sein?

Bernie Sanders bezeichnet sich selbst als “demokratischen Sozialisten”. Im Bewerberfeld der Demokraten gelten Sanders Ideen als zu links um im Amerika des 21. Jahrhunderts mehrheitsfähig zu sein. Dabei fordert er Dinge, die in Deutschland Selbstverständlichkeit sind: Krankenversicherung für alle, Studiengebühren für niemand, Kohleausstieg bis 2050. Die meiste Zeit seiner Rede verwendete Sanders auf den “Green new Deal”, mit dem er den Weltuntergang aufhalten will. Die Stelle, an der er sagte “Wir haben einen Präsidenten, der den Klimawandel für einen Scherz hält. Ich halte den Präsidenten für einen Scherz.” sprach das Publikum auswendig mit.

Bernie Sanders erinnerte mich sehr an den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Ganz sicher aber nicht an Karl Marx, Kevin BMW-verstaatlichen-Kühnert oder irgendjemand, der durch meine deutsche Brille sozialistisch wirken könnte.