El Paso strong

Derzeit sterben in Amerika täglich Menschen durch Waffengewalt. Das Land hat kaum noch Zeit zu trauern. Zwei Tage, zwei Städte, zwei Shootings, mindestens 29 Tote und fast doppelt so viele Verletzte. Man kann die Schicksale hinter den Zahlen kaum ermessen. Menschenleben werden zu Nummern. Wieder sind Unschuldige gestorben, erschossen, aus dem Leben gerissen von der Waffe, der Wut und dem blinden Hass eines weißen jungen Manns.

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Ich bin am Sonntag nach El Paso aufgebrochen, um vor Ort für Spiegel Online zu berichten. Am ersten Tag bin ich zu einem Blutspendezentrum gefahren und habe Bürger der Stadt interviewt, die zum Teil acht Stunden Schlange standen, um Gutes zu tun. Am Tag des Besuchs von Donald Trump in El Paso war ich mit Raul unterwegs. Wie viele andere auch wollte er an diesem Tag gegen den Amerikanischen Präsidenten demonstrieren. Trump hatte auf einer Pressekonferenz am Morgen noch behauptet: “Meine Rhetorik bringt Menschen zusammen.” In El Paso stimmt das sogar. Geschlossen gingen sie gegen ihn auf die Straße.

Ich selbst bin Donald Trump nicht begegnet. Sein Besuch bei Opferfamilien und Überlebenden des Walmart-Attentats im Krankenhaus von El Paso fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dabei ist El Paso eine extrem offene und herzliche Stadt. Mich hat die Freundlichkeit der Menschen vor Ort sehr beeindruckt. Schließlich hätten sie im Moment großer Trauer allen Grund gehabt, das Gespräch mit einer Reporterin aus Deutschland abzulehnen. Das Gegenteil war der Fall.

Raul, der einen Kollegen, mit dem er früher für einen christlichen Musikverlag gearbeitet hatte, bei dem Attentat verloren hat, fuhr extra mit mir an die amerikanisch-mexikanische Grenze. Er zeigte mir die Trump-Mauer, die derzeit gebaut wird. Er selbst kam vor 28 Jahren illegal von Ciudad Juarez, das auf der gegenüberliegenden Seite von El Paso liegt, in die USA. Er besorgte sich eine gefälschte Green Card, suchte sich Arbeit und ist heute eingebürgerter US-Amerikaner mit eigenem Dachdecker-Unternehmen in El Paso. Seine Töchter studieren an amerikanischen Hochschulen Mathematik und Medizin. Für ihn hat sich der amerikanische Traum erfüllt.