Auf der richtigen Seite der Eisscholle
Seit mehr als einem Monat lebe ich im Rahmen des “Arthur F. Burns” Stipendiums in Denver, Colorado. Diese Woche habe ich im Spiegel über mein Dasein als Klimakillerin geschrieben. Wie ich anfangs noch versucht habe, gegen den alltäglichen Umweltfrevel in den USA anzukämpfen. Mittlerweile aber munter mitmache: Ich fahre SUV, trinke Dosenbier, verwende Einweg-Besteck beim Essen und schließe jeden noch so kleinen Einkauf im Supermarkt mit mindestens fünf Plastiktüten ab. In den letzten fünf Wochen bin ich sechs Mal geflogen.
Warum ich mitlaufe statt aufzubegehren? Aus Fatalismus. Wer den Alltag der US-Amerikaner beobachtet, kann zu keinem anderen Schluss kommen, als dass es den Menschen so ergehen wird wie den Dinosauriern, dem Mammut oder dem Tasmanischen Beutelwolf. Wir werden aussterben. So wie die 99 Prozent der Arten auf dieser Erde vor uns auch.
“Ich will, dass ihr in Panik geratet,“ sagt Greta Thunberg. Ich bin es längst. Die Welt wird untergehen - wenn sie Donald Trump nicht in den nächsten Jahren in die Luft jagt, wird sie der Klimaerwärmung zum Opfer fallen. Wer diese Tatsache nicht erträgt, kann versuchen, sie zu leugnen. Das finde ich doof. Ich gehe derzeit einen anderen Weg. Leider keinen, der irgendwie sympathischer wäre: Wenn ich den Klimawandel schon nicht aufhalten kann, versuche ich wenigstens, möglichst viel Spaß im Land der unbegrenzten Wegwerfmöglichkeiten zu haben. Neulich bin ich zum Beispiel im Chevrolet Equinox, der so breit wie zwei deutsche Straßenspuren ist, von Santa Fe nach Denver gefahren. Mit Klimaanlage auf Max und Eiswürfeln im Starbucks-Becher mit Plastik-Strohhalm.
Klar: Wer die Welt verändern will, muss bei sich selber anfangen. Kleine Schritte führen auch ans Ziel. Kopf in Sand stecken ist keine Option. Außerdem ist es heroischer, zumindest zu versuchen, das Richtige zu tun. In aussichtloser Lage greifen Hollywood-Helden erst recht zu den Waffen - statt ins Auto mit Allradantrieb zu steigen und abzuhauen.
Ich verspreche, die Herausforderungen des Klimawandels nach meiner Rückkehr in die Heimat in gewohnter Manier anzugehen: Ich werde aus Glasstrohhalmen trinken, die mein Mann für teuer Geld angeschafft hat. Ich werde mich täglich an der bienenfreundlichen Blühwiese erfreuen, die ich in meinem Vorgarten angelegt habe. Siehe Beweisfoto unten. Ich wünsche mir, die Desillusionierung, die ich hier in Amerika durchmache, überwinden zu können. Aber in Anbetracht der vollkommen alltäglichen Umweltzerstörung, dessen Zeugin ich in Denver werde, bin ich mir ziemlich sicher, dass die gesamtdeutschen und europäische Klimaschutzanstrengungen alle nichts bringen. Außer dem guten Gefühl, auf der richtigen Seite der Eisscholle zu stehen, wenn sie schmilzt.